Baikalsee Live


         
    Bericht 9 - 13.05.2008    

Der Traum geht zu Ende

 
 

Die letzte Herausforderung war mit der Baikalüberquerung geschafft. Als nächstes brauche ich jetzt ein neues Visum und fürs Auto neue Zollpapiere. Denn beides läuft am 14. April aus.

 

Wenn ich nicht alles dem Baikal überlassen will, muss ich die Jurte und die gesamte Ausrüstung bis spätestens Mitte April verpackt und übers Eis transportiert haben, denn danach ist der See erst wieder Ende Mai mit dem Schiff passierbar. Jedes Jahr brechen Autos und Lkws durchs Eis und verschwinden mitsamt Insassen für immer Richtung Baikalgrund.

 

Ich mache mich zum 2. Mal auf den Weg in die 600 km entfernte Mongolei, jedoch dieses Mal wegen der Zollpapiere Mal mit meinem Auto.

 

Wieder zurück breche ich mit meinem HZJ über schwieriges Eis zur Omulbucht auf. Bereits nach 200 m ist Schluss. Das rechte hintere Rad bricht in ein nur dünn überfrorenes Wasserloch, bis die Achse aufliegt. Die Sandbleche werden zu Eisblechen umfunktioniert und mit viel Mühe und noch mehr Zeit steht der HZJ 75 wieder auf seinen vier Rädern.

 
 

Trügerisches Eis

 
 

Als ich nach über einer Woche Abwesenheit die Jurte unversehrt vorfinde, bin ich froh und erleichtert. Denn bereits jetzt beenden die Bären ihren Winterschlaf und sind deshalb sehr ausgehungert.  Ab sofort schlafe ich im Auto und beginne mit dem Abbau meines Lagers.

 

Ich muss die gesamte Ausrüstung und die komplette Jurte verpacken und kann mir nicht vorstellen, wie ich das alles im HZJ und auf dem kleinen UAZ Anhänger, den ich in Ulan Ude gekauft habe, unterbringen soll.

 
 

Immer höher, immer schwerer...

 
 

Am zweiten Tag breche ich etwa fünf Meter vom Ufer entfernt und zwei Meter hinter dem HZJ mit einem Fuß durchs Eis. Schockiert renne ich zum Auto. Wenn der HZJ hier ins Eis einbricht, ist das Auto verloren und alles vorbei. Der Motor läuft schon, trotzdem springe ich aus Angst nochmals raus, um das Eis vor dem HZJ zu prüfen – keine Chance, denn festgefrorener Schnee liegt drauf. Trägt es wohl den schweren Toyota samt Anhänger? Mit mulmigem Gefühl rette ich mein Hab und Gut zum Wasserloch. Es ist etwa 50 Meter vom Ufer entfernt. Das Eis ist dort noch 80 cm stark.

 
 

Noch weiß ich nicht, dass ich später 40 % überladen sein werde

 
 

Es wird immer wärmer und ich muss den HZJ noch öfters bewegen, denn durch die intensive Sonneneinstrahlung erwärmen sich die schwarzen Reifen extrem und schmelzen sich ins Eis. Da hilft nur täglicher Standortwechsel.

 

In diesen Tagen durchlebe ich ein Wechselbad der Gefühle. Traurig bin ich, als ich die mühevoll gezimmerte Einrichtung zusammenschlage und aus der Jurte trage. Hier war ein Jahr lang mein Zuhause. Und dann freue ich mich wieder wie ein kleines Kind auf daheim, wenn ich abends im Alkoven liege und die Bilder an der Decke von meinen Kindern und von Toni, meinem Enkel sehe.

 
 

Bis hierher und nicht weiter, der Rest ist festgefroren

 
 

Als es an den Jurtenabbau geht, bestätigen sich meine Befürchtungen. An der Nordseite sind die beiden übereinander liegenden Filzlagen durch dickes Eis am Bretterboden fest gefroren. Obwohl ich das Eis soweit wegschlage, dass der Filz stark darunter leidet, lässt er sich nicht entfernen. Trotz direkter Sonneneinstrahlung lösen sich die Wände auch in den nächsten beiden Tagen nicht, denn die Temperaturen klettern erst nach Mittag in den Plusbereich, und das ist zu wenig.

 
 

Dickes Eis bringt mich in Zeitnot

 
 

Die zweite Aprilwoche bricht an, und das Eis knallt und pfeift nachts immer öfter und lauter. Vor dem Auto bilden sich nachmittags bereits kleine Seen, so dass ich nur noch ein paar Tage Zeit habe, um vom Eis zu kommen. In weiser Voraussicht habe ich einen Bunsenbrenner mitgenommen. Mit dem versuche ich, das Eis zu schmelzen ohne den Filz zu verbrennen. Die Mühe lohnt sich, denn nach zwei Tagen löst sich der Filz von den Brettern. Leider ist er jetzt wesentlich dunkler als vorher. Trotzdem sind die beiden Lagen nach wie vor auf einer Länge von 10 Metern fest zusammen gefroren. Da kommt Sascha wie gerufen! Denn das Nationalparkteam will nicht, dass ich alleine über das jetzt teilweise getaute Eis zurückfahre – zu gefährlich.

 

Wir beide zerren das etwa 100-kg-schwere, teilweise noch gefrorene Filzbündel zum Ufer und übers Eis zum Hänger und hieven es mit letzter Kraft hinauf.

 

Sascha hat eine Flasche Wodka dabei. Das erste Glas schüttet er in den Brotbackofen, dann taucht er einen Finger ins Glas und tupft Wodka auf unseren Freisitztisch – Rituale aus schamanischen Zeiten, die Dank an die guten Götter symbolisieren, die uns vor Unglück geschützt haben.

 

Aus Dankbarkeit schütte ich gleich zwei Gläser Wodka in den Ofen – die Götter haben gute Arbeit geleistet.

 

Ich klettere noch einmal hinauf in die Bäume auf meine Besichtigungsplattform und genieße einen letzten Blick auf die zugefrorene Bucht und auf meine Enklave, in der ich abgeschnitten von der Menschheit, den Nachrichten, ohne Luxus, aus eigener Kraft, frei, sorglos und jetzt um einige Kilos leichter lebte. Höchste Zeit zum Aufbruch, denn die Sonne steht schon am Horizont.

 

Der NP möchte „unser Paradies“ als Beobachtungspunkt erhalten und hat mich gebeten, Toilette, Banja, Jurtenboden, Freisitz sowie Plattform nicht zu zerstören und zu verbrennen, wie geplant. Ursprünglich wollte ich das Paradies so verlassen, wie wir es vorgefunden haben.

 

Wegen der Eisschmelze und des Gewichts ist das letzte Stück südlich der Halbinsel „Heilige Nase“ übers Eis zu gefährlich. Deshalb muss ich einen Umweg über Land von ca. 200 km in Kauf nehmen und erreiche erst nachts um 2 Uhr Ust Barguzin. Übermüdet klettere ich in meine Koje. Der nächste Tag ist ein Sonntag.

 

Ich kann mich also erst am Montag vom Direktor des NP verabschieden und mich bei ihm ganz herzlich bedanken.

 

Also hab ich sonntags frei und fahre mit vier Israelis und Sascha in dessen UAZ wieder auf den Baikal hinaus. Wir hoffen mit etwas Glück, neugeborene Baikalrobbenbabys zu sehen, die zurzeit auf dem Eis in kleinen Eishöhlen geboren werden. Sie dienen als Schutz vor gehässigen Krähen und hungrigen Möwen.

 
 

Rechts unten ist der Eingang zur schützenden Eishöhle...

...und zum rettenden Wasserloch
 
 

Sascha ist Spezialist und kennt ihre bevorzugten Geburtsplätze. Tatsächlich finden wir Nerpas mit ihren Babys. Aber leider können wir sie nur aus 200 Metern mit dem Fernglas bewundern. Sobald wir ihnen zu sehr auf das glänzende Fell rücken, verschwinden sie schwuppdiwupp in ihren Eislöchern.

 
 

Auf dem kalten Eis fehlt mir einfach der Robbenspeck

 

Da ich die Tiere unbedingt aus nächster Nähe sehen, filmen und fotografieren möchte, ziehe ich einen weißen Tarnanzug über und warte etwa zwei Stunden in 10-Meter-Entfernung auf dem kalten Eis liegend auf ihr Auftauchen. Leider kommt dann Wind auf, und Sascha holt mich viel zu früh wieder ab. Ich bin enttäuscht, weil er sagt: „Komm mit, die Chancen sind jetzt gleich Null. Bei kaltem Wind kommen sie nicht aufs Eis, um sich zu sonnen!“

 
 

Die Wege trennen sich

 
 

Sascha fährt mit den Israelis weiter zu den Ushkani Inseln, wo sie übernachten werden. Für mich ist extra Micha, ein NP-Mitarbeiter samt Motorrad hinterher gefahren, der mich in seinem Beiwagen zurück nach Ust Barguzin bringt, was ziemlich lange dauert.

 
 
Ich lache noch, das wird sich bald ändern      
 
 

Der Wind bläst uns mittlerweile so stark entgegen, dass das Antriebsrad ohne Spikes auf dem glatten Eis durchdreht. Über lange Strecken kommen wir nur in Schrittgeschwindigkeit vorwärts. Zudem wird das Motorrad trotz eingeschlagener Lenkung vom Kurs abgetrieben. Für die 40 km nach Ust Barguzin brauchen wir über 2,5 Stunden und frieren uns dabei fast die Nasenspitzen ab.

 
 

Bei Schnee und Eis hilft nur äußerste Vorsicht

 
 

Nach der herzlichen Verabschiedung vom NP-Direktor, geht es am nächsten Tag im Schneesturm nach Ulan Ude und über Irkutsk weiter gen Westen. Es wird immer wärmer und grüner. Der Ural ist eine Klimagrenze, hinter der der Frühling in leuchtenden Farben herrscht.

 

Die Strecke Ust Baguzin - Wechingen schaffe ich in 2,5 Wochen – trotz 3 Tage unfreiwilligem Aufenthalt für Reparaturen. Die Einspritzpumpe und Einspritzdüsen wurden durch Wasser im Diesel zerstört, der neue Anhänger löste sich von der Deichsel und die vorderen Blattfedern sind gebrochen und mussten an der Verbindung zum Rahmen geschweißt werden.

 
 

Höchste  Zeit für ein Übernachtungsplätzchen

 
 

Die Vorfreude auf die Familie ist so groß, dass ich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang fahre und täglich ca. 600 km bis 800 km auf diesen schlechten Straßen hinter mich bringe.

 

Nach 9.000 km komme ich am 7. Mai glücklich und zufrieden zuhause an.

 

13 Monate sind vergangen, das Abenteuer ist beendet und ich bin um viele Erlebnisse und Erfahrungen reicher.

 

„Es sind die stillen Erlebnisse in der Einsamkeit, die sich in der Seele ganz tief eingraben: der klare See, der leuchtende Sternenhimmel und die frische Luft.“

 

Doswidanja

Werner

 

             

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